Corona-Tagebuch 197
4. Januar 2021
Beim Rückweg im leichten Schneeregen von meiner sonntäglichen Arbeitsstelle wieder den Mann gesehen, der an der Straßenbahnhaltestelle U-Bahnhof Seestraße seinen Schlafplatz zu haben scheint. Sonntags saß er dort in den letzten vier Wochen immer, eine Decke über den Kopf gezogen, welche nicht seine Beine umhüllte. Ein anklagendes Mahnmal für den Etikettenschwindel unserer „sozialen Marktwirtschaft“. Ich wünschte, es wäre nicht aus Fleisch und Blut. Nicht nur in den Alpen, sogar in den Mittelgebirgen liegt jetzt richtig Schnee und viele Leute nutzen das, um Schlitten fahren zu gehen, oder dem Skilanglauf zu frönen. Am Wochenende gab es laut Medien einen regelrechten Ansturm auf die Wintersportgebiete. Die Polizei sperrte wichtige Zufahrtsstraßen, weil Abstandsregeln nicht eingehalten werden konnten. Ein Polizist am Sonntag: „Wir haben gestern Abend ein Betretungsverbot ausgesprochen, aber die Leute sind trotzdem wieder hierher gekommen.“ Ich kann die Leute verstehen. Sieht man Wochenende für Wochenende im Fernsehen, wie Profisportler ihre Wettkämpfe bestreiten, besonders beim Fußball sich herzen und knuddeln, nach Lust und Laune, nach jedem Tor, 22 Menschen aus 22 Haushalten, mindestens, auf engstem Raum, ohne Maske, ohne Konsequenzen, selbst wenn jemand positiv getestet wurde, treten die Trainingskameraden trotzdem an, so lässt man sich ungerne vorschreiben auf das eigene Rodelvergnügen zu verzichten, wo die Ansteckungsgefahr doch sehr viel geringer ist, als in Kaufhalle oder Betrieb. Hierzulande sind die täglichen Neuinfektionen mit dem Virus das erste Mal seit Wochen unter 10.000 gefallen, 9.847 Fälle wurden gemeldet. Als Folge der Corona-Krise übertrifft Deutschland sein Klimaschutzziel für 2020. Der Treibhausgasausstoß lag im vergangenen Jahr 42,3% unter dem Wert von 1990, berichtet dpa, das Ziel waren 40% gewesen. Zum ersten Mal seit 14 Jahren ist in Deutschland die Zahl der Erwerbstätigen gesunken, auch die Reallöhne fielen während der letzten beiden Quartale. Linke und Grüne fordern zur Bewältigung der Krise eine Digitalsteuer für den von der Corona-Pandemie profitierenden Online-Handel. Die AfD lehnt die Verlängerung der Maßnahmen strikt ab. In Nürnberg haben sich trotz eines Verbotes am Wochenende Hunderte Querdenker versammelt, getrommelt und getanzt. Großbritannien beginnt mit dem Impfen des Astrazeneca-Impfstoffs, der bei Kühlschranktemperaturen gelagert werden kann. Südafrika und Vietnam möchten im Februar mit dem Impfen starten, viele andere Länder werden dies, mangels fehlender finanzieller Mittel, noch später erst können. Der nationale Egoismus bei der Impfstoffverteilung ist zum Schreien! Weil tausende Ärzte seit Polens Beitritt zur EU 2004 in den Westen gegangen sind, wirbt das Land jetzt mit einer Gesetzesänderung um den Zuzug osteuropäischer Ärzte, beispielsweise aus der Ukraine und Weißrussland. Gesucht werden vor allem Lungenärzte, Virologen, Anästhesisten und Internisten. Und was tun die osteuropäischen Länder? Afrikanische Ärzte anwerben? Griechenland meldet 4 Infizierte mit der B.1.1.7.-Variante, Zypern meldet derer 12. In Norwegen dürfen Bars und Restaurants landesweit keinen Alkohol mehr ausschenken, Gäste nicht mehr nach Hause eingeladen werden, Vorlesungen an Universitäten fallen bis zum 18.01. aus. Die Mongolei verzeichnet ihr erstes Covid-19-Todesopfer. Über 100 Covid-19-Tote in Ruanda, über 500 in Malaysia, über 75.000 in Italien und in Großbritannien. Noch-Präsident Donald Trump hält die Zahl der Infektionen und Todesfälle in seinem Land durch das „China-Virus“ für „weit übertrieben“ bedingt durch die „lächerliche“ Zählmethode der eigenen Gesundheitsbehörde CDC, während andere Länder absichtlich falsche, niedrigere Zahlen meldeten. Er schloss seine Ausführungen mit den Worten: „Fake-News“. Vier Jahre mussten die USA so einen Präsidenten ertragen.
Tipp für heute: An was Anderes denken.
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