„Ihr wart ja gar nicht dabei“
15. September 2010
Da es gerade mal wieder in meinem Umfeld eine Diskussion zum Thema DDR und Nazideutschland gibt, ob man die beiden vergleichen könne: Ja, kann man. Oder wie ich es in einem Gedicht mit dem schönen Titel ‚Vergangenheitsbewältigung‘ einmal ausdrückte:
Das Dritte Reich ist lange her,
die DDR gibts auch nicht mehr,
man kann die beiden nicht vergleichen,
das muss reichen.
Grinsezeichen muss ich hoffentlich nicht hinter setzen. Logisch kann man die beiden vergleichen. Dann sieht man nämlich, dass es Gemeinsamkeiten gab: Diktatur, keine Meinungs-, Versammlungs-, Pressefreiheit, keine freien Wahlen, Aufbau und Struktur der Massenorganisationen glichen sich, militaristische Elemente, sicher noch Einiges mehr. Und dann sieht man auch, dass es Unterschiede gibt: Massenmorde gab es in der DDR nicht, die Wirtschaftsordnung war eine andere, es wurde kein Krieg begonnen, es gab kein Staatsbürgerschaftsrecht auf Blutsbasis, im Dritten Reich herrschte Reisefreiheit, die Nazis sind innerhalb einer bürgerlichen Republik ohne Putsch an die Macht gekommen und auch da könnte man noch einiges hinzufügen. Und genauso, wie man die DDR mit Nazideutschland vergleichen kann, kann man auch die BRD mit Nazideutschland vergleichen und wird auch da Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen. Man kann im Übrigen auch die USA und Nazideutschland vergleichen und man kann Iran und Bulgarien vergleichen oder das Osmanische Reich und Taka-Tukaland, ja, es ist sogar sehr gut wenn man vergleicht, nur eben sollte man nicht alles in einen Topf schmeißen und dadurch die Täter (auch die zukünftigen) entschuldigen.
Tipp für heute: Türen offen stehen lassen.
17 Kommentare zu “„Ihr wart ja gar nicht dabei“”
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Und damit hast du jahrelange Feuilleton-Diskussionen einfach mal weggewischt. Gut so. Weitermachen. Dankeschön!
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Schön gesagt, ich schliesse mich dem geschriebene an.
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dito. Den Rest habe ich wieder gelöscht.
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@ Olaf: Huch! Was hast du denn wieder gelöscht?
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… dass mein Vater am Ende der dunklen Epoche erst sieben Jahre alt war, dass die einzige in meiner weiteren noch lebenden Verwandtschaft, die diese Zeit aktiv erlebt hat, meine Schwiegeroma ist, die erst die Nazis und dann die Russen beschissen hat. Ich habe deswegen keine persönlichen Beziehungen zu dieser Zeit, die ein Interessenschwerpunkt meiner geschichtlichen Neugier darstellt.
Hingegen war die DDR das Land meiner Jugend. Und ich habe keine Lust, mir mein Leben von irgendjemand erklären zu lassen – schon gar nicht von Leuten zu denen man sagen könnte: “Ihr wart ja gar nicht dabei”.
Da diese sentimentalen Gedanken aber ein wenig vom Thema abschweifen, habe ich es vorm Abschicken wieder gelöscht.
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Fragt man sich doch, WARUM braucht das Umfeld solche Vergleiche? Gehts um eine Maßeinheit für ungerecht?
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@ Olaf: Verstehe.
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@ generator: Es geht dabei glaube ich fast immer um eine Entschuldigung begangenen Unrechts. Was war schon die Stasi im Vergleich zum Massenmord der Nazis. Die Israelis machen doch auch nichts anderes als damals die Deutschen. Wir haben zwar zwei Weltkriege angefangen aber guckt mal was die USA für Kriege auf ihrem Gewissen haben. Stalin hat mehr Menschen umgebracht als Hitler. Dschingis Khan war viel brutaler als Saddam Hussein. Die christliche Kirche hat die Kreuzzüge begangen, was ist dagegen schon El Kaida. Undsoweiter, undsoweiter. Armselig.
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Ganz im Ernst: Ich finde es wichtig, richtig und aufschlussreich, die DDR mit der BRD zu vergleichen.
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ich finde, dass vergleichen, relativieren und diskutieren immer an dem punkt hängen bleibt, wo die eigene betroffenheit ins spiel kommt, respektive die persönliche geschichte. dann wird es schwer, die ganze angelegenheit sachlich zu betrachten.
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@ pastorentochter: Schwer sicherlich, aber nicht unmöglich.
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nee, unmöglich meinte ich auch nicht. aber meine beobachtung ist, dass den meisten menschen eben nicht klar ist, dass sie auch immer aus ihrer eigenen geschichte her argumentieren – oder eben das gegenüber.
wenn man das mal vorher abklären würde, könnte man sich einen haufen mißverständnis und unnützes diskutieren sparen.
bissl pragmatisch, ich weiß.
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@ ahne: Mit wem zusammen hast Du die Weltkriege angefangen? Was hast Du Dir dabei eigentlich gedacht?
@ pastorentochter: Die Sache mit der Schwierigkeit eigene Geschichte objektiv zu betrachten sehe ich auch so. Hingegen bleibt dem außenstehenden Betrachter wohl auch so einiges verborgen und er ist oft versucht, stets alles mit seinen Maßstäben zu messen. Viel ist, so glaube ich, demjenigen geholfen, der versucht, die Geschichte nüchtern zu betrachten, was Alkoholkonsum nicht ausschließen sollte.
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@ Olaf: Ich habe mir damals nichts gedacht, weil ich noch nicht geboren war. Aber mein Großvater hat zum Beispiel aktiv geholfen, dieses verbrecherische System zu etablieren. Und ich bin als Deutscher schon in der besonderen Verantwortung, finde ich, dafür zu sorgen, dass so etwas hier nicht mehr passieren kann, denn immerhin haben nicht wir Deutschen diesem System den Garaus gemacht. Darüberhinaus meine ich auch als Mensch eine Kollektivverantwortung zu besitzen.
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Finde immer, Betroffenheit und politisches Denken sind wie Autofahren über Promillegrenze. Aber man ist ja auch Produkt einer bestimmten Erziehung und Zurichtung oder Neurosen, die Generationen übergreifen. Selbst die nächste wird da noch einiges auszubaden haben.
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@ Ahne: Aber niemand kann etwas für seine Vorfahren. Und ob ein Deutscher, ein Inuit oder ein Hawaianer ein Verbrecher begeht, ist für mich Wurscht. Selbstverständlich haben normal denkende Deutsche hinsichtlich Diktaturen, Völkermord oder auch systembasierender Diskriminierung jeglicher Form eine besondere Sensibilität / Abneigung. Und ja zu Satz 2 und 3.
Meinem Credo entspricht folgende Aussage einer bekannten deutschen Unterhaltungsformation.“Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Es ist nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.“
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Kann ich unterschreiben.
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