Rinks und Lechts

19. September 2019

Vielleicht kommen ja jetzt langsam mal einige ins Grübeln, die immer noch meinen, gewisse Worte, gewisse Verkleidungen, gewisse Frisuren, Schmuck oder Körperbemalungen seien an sich rassistisch, chauvinistisch oder sonstwie schlimm, werden sie von gewissen Personen genutzt, unabhängig vom Kontext in welchem sie genutzt werden. Wenn sich nun der kanadische Premier Trudeau, der für nordamerikanische Verhältnisse als fortschrittlich gilt, öffentlich entschuldigen muss dafür, dass er vor 18 Jahren als arabischer Scheich verkleidet mit Turban und braun geschminktem Gesicht zu einer Kostümparty gegangen ist, wenn er dies öffentlich als „rassistisch“ brandmarkt, so erinnert mich das an furchtbare Zeiten, an Hexenprozesse, an Selbstbezichtigungen der stalinistischen Ära, gut, sicher nicht mit jenen grausamen Folgen, er verliert höchstwahrscheinlich nur sein Präsidentenamt und folgen wird ihm ein rechter Kontrahent, der womöglich beginnen wird die Grenzen zu schließen und Rechte von Einwanderern und Ureinwohnern zu beschneiden, dies jedoch mit „korrekten“ Worten begründet (könnte zumindest sein). Ich bin übrigens als Kind zum Fasching mehrfach als Indianer gegangen, einmal als Vietnamese und auch als Sindbad mit angemaltem Gesicht. Ich entschuldige mich für gar nichts. Ich war gerne Indianer, Vietnamese, Orientale, wenn auch nur für kurze Zeit. Björn Höcke ist sicher als Cowboy gegangen, früher, und wenn er jetzt Menschen abschieben will, benutzt er hoffentlich die vorgesehenen Anreden. Muss er eigentlich nur noch Veganer werden und schon geht da doch was. Jede Hautfarbe, jedes Volk, separat, respektvoll, aber bitte ohne sich gegenseitig in die Quere zu kommen, finden sich da nicht Anknüpfungspunkte zwischen diesen „Linken“ und ganz rechts außen? Ach, hatte ich vergessen, ich habe mich auch schon mal als Frau verkleidet. Ist das eigentlich noch okay?

Tipp für heute: Verkleiden Sie sich bitte nur noch als Sie selbst!

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17 Kommentare zu “Rinks und Lechts”

  1. 01

    Einzig die Gegenwart zählt, ich kann mich nicht entschuldigen für Dinge, die ich vor Jahren mit der Unwissenheit über heutiges Denken gemacht habe. Und ich frage mich immer, wem nützt die neu aufkommende Spießigkeit, wer hat etwas davon, wenn Märchenbücher umgeschrieben werden sollen, …
    Es kommt auf den Geist, das Denken hinter der Verkleidung/Anspruch/ Geschichte… an. Ich habe früher auch über Dinge gelacht die ich heute nicht mehr lustig finde. Soll ich dafür in den Keller?

    quercus/Roswitha am 19. September 2019 um 16:55
  2. 02

    Ich weiß ja nicht, was das für Dinge waren, die du heute nicht mehr lustig findest. Ich habe auch über Sachen gelacht früher, die ich heute nicht mehr lustig finde. Ich finde allerdings weiterhin, dass man sich als Mensch anderer Hautfarbe, Religion oder Volkszugehörigkeit verkleiden können sollte, wenn man diese nicht herab würdigt. Mir hat gestern jemand gesagt: „Na, du würdest doch auch nicht als Jude gehen.“ (Er meinte als orthodoxer Jude.) Ich darauf: „Ich verkleide mich nur sehr ungern, aber, warum denn nicht?“

    Ahne am 19. September 2019 um 19:40
  3. 03

    Lieber Ahne,
    was das „Menschen abschieben“ angeht, das wurde im Oktober 2015 von Angela Merkel zur „Nationalen Kraftanstrengung“ erklärt. (https://www.heise.de/tp/features/Merkel-will-nationale-Kraftanstrengung-bei-Abschiebungen-3592321.html)
    Ein Jahr zuvor meinte Angela Merkel allerdings noch „Wir schaffen das“ (was genau geschafft werden sollte, ist bis heute unklar geblieben, abschieben war aber wohl nicht gemeint) mittels „Nationaler Kraftanstrengung“.
    https://www.faz.net/aktuell/politik/fluechtlingskrise-merkel-fordert-nationale-kraftanstrengung-13789391.html

    TaxiBerlin am 5. Oktober 2019 um 09:54
  4. 04

    Ja, aber was meinst du damit?

    Ahne am 5. Oktober 2019 um 12:30
  5. 05

    Weniger gut informierte Zeitgenossen können beim Lesen deines Textes auf die Idee kommen, dass Björn Höcke, (d)“er JETZT Menschen abschieben will“, GERADE das Abschieden erfunden hätte. Natürlich hat auch Angela Merkel nicht das Abschieben erfunden, aber im historischen Kontext der Flüchtlingskrise, und auf den beziehst du dich offensichtlich, war es Angela Merkel und nicht Björn Höcke, die das Abschieben von Menschen zur „Nationalen Kraftanstrengung“ erklärt hat.

    TaxiBerlin am 6. Oktober 2019 um 00:32
  6. 06

    Mir ging es darum, dass Björn Höcke, wenn er könnte, abschieben würde ohne auf irgend etwas Rücksicht zu nehmen. Und dass es manchen Menschen scheinbar wichtiger ist, darauf zu achten, dass dies in der richtigen Wortwahl begründet werden müsste. Die Verpackung also wichtiger ist als der Inhalt.

    Ahne am 6. Oktober 2019 um 11:05
  7. 07

    Sorry, mein Fehler. Ich dachte, es geht um Inhalte.

    TaxiBerlin am 6. Oktober 2019 um 22:04
  8. 08

    Meinst du mit Inhalten, wer das Abschieben erfunden hat? Über die Ursachen weltweiter Flüchtlingsbewegungen haben wir wahrscheinlich keine zwei Meinungen. Und dass man diese Ursachen bekämpfen müsste, auch da sind wir uns sicherlich einig. So lange daran nicht gearbeitet wird, nützt auf Dauer alles nichts. Da kann man abschieben ohne Ende und Mauern bauen wie verrückt, das hat noch nie etwas gebracht und wird auch künftig nichts bringen, außer menschliches Leid.

    Ahne am 7. Oktober 2019 um 11:39
  9. 09

    Ich meine, dass sich mit Oberflächlichkeiten anderer zu beschäftigen, kein Inhalt ist, sondern auch wiederum nur Oberfläche. Ansonsten bin ich überrascht, was du so alles weißt, und da v.a. darüber, wo wir uns „sicherlich einig“ sind. Ich versuche mit dem Grundsatz durchs Leben gehen: Ich weiß, dass ich nichts weiß. (Ein guter Freund hat es mal so formuliert: „Wer zu früh urteilt, der verliert die Welt.“) Ich stelle in erster Linie Fragen, auf die ich Antworten suche. Eines scheint mir allerdings doch sicher zu sein: Fluchtursachen bekämpfen, das kann man immer sagen, ist gut gemeint, kann man nichts verkehrt machen, klingt gut und kommt gut an. Nur Erfolg scheint dem Fluchtursachen bekämpfen nicht beschienen zu sein, und da frage ich mich: Wer ist dafür verantwortlich? (Nach der Verantwortung wird komischerweise oft viel zu wenig gefragt hierzulande, und auch „cui bono?“ – Wem zum Nutze? Warum eigentlich?) Ich bin geneigt zu sagen, und da sind wir uns möglicherweise sogar einig, dass Angela Merkel in dieser Frage mehr Verantwortung trägt als Björn Höcke, denn sie war in Regierungsverantwortung und Björn Höcke nicht. Jedenfalls, und da sind wir uns sicherlich auch einig, scheint Fluchtursachen zu bekämpfen, nicht wirklich zu funktionieren, deswegen Angela Merkels neuer Plan (du weißt ja: „Mach nur einen Plan, sei ein großes Licht, und mach noch einen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht.“ B.Brecht): „Keine Obergrenze“, alle die können und wollen, sollen also kommen. Im selben Moment schließt sie einen Deal mit der Türkei ab, damit genau das nicht passiert. Da frage nicht nur ich mich: Ist das nicht verlogen? Oder war das nur früher verlogen? Ich frage mich weiterhin, ob dieser neue Plan nicht nur unser Land, sondern ganz Europa gespalten hat? Kann es sein, dass Angela Merkel („geht da nicht hin, die haben Hass und Kälte im Herzen“) ähnlich spaltet wie Trump die USA und der Brexit Großbritannien? (Zu spalten, möglicherweise sind wir uns auch hier einig, ist ein probates Mittel in der Politik, oder, mit anderen Worten: „Teile und Herrsche“) Zumindest, und da sind wir uns mit Sicherheit einig, stehen wir mit „Keine Obergrenze“ ziemlich alleine da. Im Inland ist es einfach, da sind die Gegner einfach alles Rassisten und Nazis. (Aber stimmt das wirklich? Und was machen wir mit ihnen? Rüber können wir sie nicht mehr schicken. Brauchen wir bald Umerziehungslager oder doch lieber Runde Tische?) Im Ausland wird es schon schwieriger, da trauen wir uns das (noch) nicht zu sagen. Es gibt sogar einen Slogan der Bundeswehr, der lautet: „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst.“ (Scheint allerdings nur für’s Ausland zu gelten.) Aber was machst du, wenn sich das Ausland weiterhin stur stellt, also nicht den deutschen Vorgaben folgt und weiterhin keine oder zu wenige aufnimmt? Willst du dann dort einmarschieren? Vielleicht mit der Kavallerie? Oder es weiterhin „nur“ finanziell erpressen? Und ist „Keine Obergrenze“ nicht einfach nur ein neuer deutscher Sonderweg? (Deutsche Sonderwege gab es, und sie haben alle kein gutes Ende genommen, da sind wir uns sicherlich einig, oder?) Soll am deutschen Wesen (diesmal an unserer Moral) mal wieder die Welt genesen? Und woher kommt überhaupt dieser moralische Impetus und diese Besserwisserei? Wollen wir wirklich anderen Menschen helfen? Oder geht es uns vielmehr um uns selbst? Wollen wir vielleicht nur unser kleines eigens Ego aufpolieren, damit wir uns selber (endlich) besser fühlen können? Ist unsere Nächstenliebe im Kleid der „Willkommenskultur“ vielleicht einfach nur unsere schlechte Liebe zu uns selbst?, wie Kollege Nietzsche vermutete. Das sind Fragen, die ich mir stelle, auf die ich Antworten suche. Meinungen oder gar Überzeugungen sind bei dieser Suche, das ist meine Erfahrung, wenig hilfreich. Denn „Überzeugungen sind schlimmere Feinde der Wahrheit als Lügen“ (Nietzsche). Wie sehen deine Antworten aus? Hast du welche? Dann nur heraus damit!

    TaxiBerlin am 8. Oktober 2019 um 10:17
  10. 10

    1. Ich empfinde es nicht als Oberflächlichkeit, wenn Sprache, Sitten und Gebräuche diktiert werden sollen.
    2. Entschuldigung, wenn ich dir Meinungen unterstellt habe, die du gar nicht hast.
    3. So wie du über das ‚Fluchtursachen bekämpfen‘ schreibst, klingt es, als sei alles hoffnungslos. Ist es meiner Meinung nach aber gar nicht. Es gibt genügend Länder und Regionen, wo sich die Lebenssituation entscheidend verbessert hat. Wie viele fliehen heute noch aus Vietnam, aus Kampuchea, aus China, Angola, der Türkei? Stabilität, die Beendigung von Kriegen, Aufbau von Infrastruktur, wirtschaftliche Gleichberechtigung und die Beendigung der Förderung brutaler Diktaturen sind doch kein Zauberwerk.
    4. Natürlich trägt Angela Merkel mehr Verantwortung als Björn Höcke. Björn Höcke ist zum Glück bisher nur für seine Hetze gegen Nichtdeutsche, seine völkisch-nationalsozialistische Gesinnungsverbreitung bekannt, die er hoffentlich nie in Regierungsverantwortung wird realisieren können. Die Diskrepanz bei Äußerungen der Bundeskanzlerin hast du ganz gut heraus gestellt. Die Handhabung des Asylrechtes war übrigens vor 2015 (und ist es jetzt wieder) eine merkwürdige Praxis, jeder hat das Recht Asyl zu beantragen, aber kommen darf niemand (Stichwort sicheres Drittland).
    5. Menschen, die keine Moslems, keine Afrikaner, weniger Ausländer, eine Obergrenze etc. wollen, sind nicht unbedingt Nazis und/oder Rassisten, sondern sie haben Angst und/oder sind fremdenfeindlich. Dass das mit den Nazis und Rassisten immer behauptet wird, ist ja nun aber auch nicht so, das ist seinerseits wieder eine Behauptung.
    6. Das Ausland gibt es genauso wenig wie einen deutschen Sonderweg. Osteuropa mag sich da relativ einig sein, der Rest ist es nicht und Deutschland war keineswegs das einzige Land, was Flüchtlinge aufgenommen hat.
    7. Du stellst nur Fragen, sagst du und das ist selbstverständlich dein gutes Recht, „Wer nicht fragt bleibt dumm“ (Nietzsche, nein, Sesamstraße), nur stell dir einmal eine Menschheit vor, in der alle Zeit ihres Lebens nur fragen, aber niemand sich traut Antworten zu geben. Ein Nietzsche macht es sich da einfach, wenn er Überzeugungen kritisiert, doch Stillstand bedeutet Tod, ohne Überzeugungen wär der Mensch nicht in der Lage sein Leben zu meistern. Es kommt doch darauf an Überzeugungen selbstkritisch zu hinterfragen und unter Umständen eben auch zu ändern.
    8. Viele liebe Grüße

    Ahne am 8. Oktober 2019 um 15:41
  11. 11

    Hab Dank für deine ausführliche Antwort, auch wenn du nicht auf alle meine Fragen eingegangen bist, beispielsweise nicht auf die, ob unsere Nächstenliebe im Kleid der Willkommenskultur nicht an erster Stelle unserer schlechten Liebe zu uns selbst geschuldet ist. Ich freue mich, dass es für dich darauf ankommt, Überzeugungen selbstkritisch zu hinterfragen und unter Umständen auch zu ändern. Das kann nicht nicht jeder von sich behaupten. Du schreibst weiterhin, dass Überzeugungen nötig wären, damit man in der Lage ist sein Leben zu meistern. Hier hörst du dich an wie meine Mutter, und ich frage mich, ob du vielleicht auch dasselbe meinst wie sie, wenn du von „sein Leben meistern“ schreibst. (Ich vermute fast Ja.) Verzeih mir, dass ich erstmal nur Fragen gestellt habe. Aber ich hatte dich gewarnt. Mein Motto ist: „Ich weiß, dass ich nichts weiß. (nicht Sesamstraße sondern Sokrates!) Unterschätze mir das Fragen stellen nicht. Da kommt es nämlich darauf an, die richtigen Fragen zu stellen. Wenn man die Fragen falsch stellt oder gar die falschen Fragen stellt, dann können die Antworten nicht richtig sein. Verzeih mir auch, dass ich mit meiner Antwort nicht so systematisch bin wie du, mit Nummern und so. Ich kann auch leider nicht auf alle deine Punkte eingehen, sondern nur auf ausgewählte, um genau zu sein nur auf einen. Und zwar auf die Aussage von dir unter Punkt 5, dass das mit den Nazis und Rassisten immer nur behauptet wird. Ich selbst wurde im Abschluss an die Luxemburg/Liebknecht Demo im Januar diesen Jahres von etwa zehn selbsternannten Nazi-Jägern der Antifa erst als Nazi beschimpft, dann verfolgt, und am hätte ich Ende bestimmt auch ein paar auf’s Maul bekommen (wenn sie dazu nicht zu blöd gewesen wären), nur weil ich eine Gelbe Weste trug (wie mehr als 3.000 andere auf der Demo auch), mit der ich gegen die illegale Konkurrenz von Uber demonstriert hatte. (Ich habe auf meiner Seite ausführlich darüber geschrieben.) Zuvor (30.11.18) hatte der „Cicero“ den Titel „Gelb ist das neue Braun“ und davor (1.9.18) der „Spiegel“ das Cover „Sachsen“ in Fraktur und braun übergehend. Sind natürlich beides nur Einzelfälle und eigentlich schon gar nicht mehr wahr. Auch dir viele liebe Grüße!

    TaxiBerlin am 8. Oktober 2019 um 21:10
  12. 12

    Entschuldige, dass ich erst jetzt antworte, aber ich musste gestern faulenzen. Nummerieren tue ich lediglich, weil ich fürchte mich sonst zu verhaspeln.

    1. „Unsere Nächstenliebe im Kleid der Willkommenskultur“, ich kann mit solchen Schlagwörtern wenig anfangen, weil ich selten nur in der ‚Uns-Form‘ denke. Deswegen weiß ich auch nicht, ob diese „Willkommenskultur“ „unserer schlechten Liebe zu uns selbst“ geschuldet ist. Du meinst hoffentlich die Liebe zu ‚Land‘, ‚Nation‘, ‚Hautfarbe‘ und ‚Geschlecht‘, sonst wäre es ja wirklich traurig. Über meine Beziehung zur ‚Nation‘ haben wir uns ja bereits ausgetauscht, da empfinde ich tatsächlich keine Liebe, was sich bei mir leider trotzdem nicht in allzu viel Engagement bei der „Willkommenskultur“ ausgezahlt hat. Schade eigentlich. Allgemein glaube ich, dass es an der Zeit wäre die Liebe zu Land, Nation, Hautfarbe und Geschlecht, durch eine Liebe zum Leben zu ersetzen (mal von persönlichen Liebesbeziehungen abgesehen). Dass ich mit dieser Meinung mich weltweit gesehen in einer krassen Minderheitenposition befinde, ist mir bewusst. Aber, langsam nährt sich das Eichhörnchen (Hildegard von Bingen).
    2. Ich weiß ja nicht, was deine Mutter meint, wenn sie das sagt. „Sein Leben meistern“ bedeutet für mich mit seinem Leben zufrieden zu sein, zumindest im Großen und Ganzen.
    3. Wenn du in richtige und falsche Fragen unterteilst, lieferst du ja praktisch schon die Antworten mit, traust dich bloß nicht sie zu formulieren.
    4. Die Beispiele, die du anführst sind schlimmm und selbstverständlich gibt es das. Ich habe mich darüber auch schon oft geärgert. Ich habe ja auch geschrieben, dass das immer behauptet wird sei falsch. Spiegel-Titel sollen polarisieren und sind meistens dumm. Nicht umsonst nannte Michael Stein den Spiegel bereits vor 20 Jahren ‚Bild am Montag‘. Ansonsten wird schon häufig differenziert. Das ständige Titulieren von rechten Positionen als ’nazihaft‘ betrachte ich übrigens als äußerst kontraproduktiv, weil meiner Meinung nach wirkliche Nazis damit verharmlost werden. Es gibt eben auch andere rechte Einstellungen (konservativ, national-konservativ, nationalistisch etc.), die ich zwar politisch ablehne, jedoch den Nazis nicht gleichsetze. Leider wurde bei der AfD der Fehler gemacht, sie von Anfang an als Nazis zu bezeichnen und nun, nach mehreren Metamorphosen, wo sich tatsächlich Nazis (Höcke) anschicken, dort die Führung übernehmen zu wollen, wirkt die Warnung nicht mehr, oder jedenfalls nur ungenügend. Diese Idioten, die dich und andere auf der Demo angegriffen haben, gegen solche Leute muss man sich stellen. Egal was für Argumente sie haben, wer Gewalt nicht nur zur Verteidigung einsetzt, gehört verurteilt.
    5. Viele liebe Grüße

    Ahne am 10. Oktober 2019 um 09:57
  13. 13

    Danke für deine ausführliche Antwort. Respekt, dass du, was dein Engagement in Sachen Willkommenskultur angeht, so ehrlich bist. Das kommt ja auch nicht oft vor. (Bei mir sieht es mit dem Engagement übrigens ganz ähnlich aus.) Bei der schlechten Liebe zu uns selbst geht es mir nicht, wie du vermutest, um Land, Nation, Hautfarbe oder Geschlecht. (Obwohl es dem einzelnen bei der Liebe zur Hautfarbe und zum eigenen Geschlecht auch nicht gerade leicht gemacht wird, Stichwort: „alte, weiße Männer.“) Nein, ich meine ganz elementar die Eigenliebe. (So wie ich „Liebe deinen nächsten wie dich selbst“ verstehe, was mehr ist als „mit sich selbst im Großen und Ganzen zufrieden sein.“ (Die Liebe zu sich selbst ist, genauso wie die Schuld, zu der die Sühne gehört, und die Verantwortung, die von Rede und Antwort stehen zum eigenen Tun kommt, immer ganz persönlich, so wie der Name es schon sagt.) Vielleicht ist unser beider geringes Engagement in Sachen Willkomenskultur genau dem geschuldet, ohne dass es uns selbst bewusst ist, also rein intuitiv und damit stimmig. Ich würde das nicht ausschließen, ganz im Gegenteil. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Text klüger als sein Autor ist. (Ich komme deswegen darauf, weil ich mich gerade mit dem Thema „Kriegsenkel“, also unsere Generation“, und der „transgenerationalen Weitergabe von Traumata“ beschäftige. Themen, die uns alle, so denke ich, in Zukunft im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise verstärkt beschäftigen werden.) Aber eigentlich wollte ich nur noch eine Frage stellen: Du schreibst am 8.10. unter Punkt 5, dass die Leute Angst haben. Das klingt für mich so, als hättest du für die Ängste und die damit verbundenen Sorgen Verständnis. Aber wie passt das mit dem Titel deines Beitrags vom 6.10. „An alle besorgten Bürger“ zusammen?

    TaxiBerlin am 10. Oktober 2019 um 12:35
  14. 14

    Meiner Meinung nach passt das ganz gut zusammen. Denn die Zeit geht ja nun mal weiter, nicht nur physikalisch gesehen, es ändern sich auch die Parameter, die Zustände, die Einstellungen. Geschichte wird sich nicht wiederholen, nicht so, wie sie mal war. Geht man davon aus, wird sich eben auch die Situation von 2015 nicht wiederholen. Dass Ängste vor Veränderung und Fremdem auftreten, finde ich völlig normal. Fatal wäre es, meiner Meinung nach, sich diesen Ängsten zu ergeben. Erstens ist es für jeden selber schlecht in Angst zu leben und zweitens verstehen es Menschen (Nazis, Islamisten etc.) diese Ängste zu nutzen. Wie wir zukünftig in dieser Welt besser zusammen leben können, dazu hätte ich viele Fragen, auf die ich keine Antwort weiß, doch dass die alten Nationalstaaten, die Segregation von Hautfarben und Völkern, ein besseres Zusammenleben behindern, davon bin ich überzeugt.

    Ahne am 10. Oktober 2019 um 13:12
  15. 15

    Ach so, vielleicht kann ich ja auch mal was fragen, vor was hast du denn Angst?

    Ahne am 10. Oktober 2019 um 13:14
  16. 16

    Ich habe viele Ängste, und da sind sicherlich auch ein paar irrationale dabei – keine Frage. Sie alle hier aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Ich will zwei nennen, die mir in dem Zusammenhang wichtig erscheinen. Das ist einmal die Angst vor Leuten, die ständig behaupten, keine Angst zu haben; und zum anderen die Angst vor denen, die anderen ihre Angst absprechen oder auch „nur“ lächerlich machen. Angst ist neben der Freude und der Trauer ein ganz normaler menschlicher Gefühlsausdruck. Niemand würde auf die Idee kommen zu sagen, der andere solle bitte sehr keine Freude mehr empfinden oder sich aufhören zu freuen. (Obwohl, heute ist alles möglich.) Wenn wir unsere Angst unterdrücken oder nicht wahrhaben wollen, werden wir krank bzw. aggressiv. Der Hass (und mit ihm die Wut und der Zorn) ist der vierte menschliche Gefühlsausdruck, er ist allerdings ein abgeleiteter, und zwar von der Angst. Es mag auf den ersten Blick so aussehen, wie du es beschreibst, als würde uns unsere Angst in die Fänge von irgendwelchen Rattenfängern treiben. Meine ganz persönliche Erfahrung ist eine ganz andere, um genau zu sein die gegenteilige. Indem ich meine eigene Angst annehme und zum geeigneten Zeitpunkt und an einem geeigneten Ort ausdrücken kann, bewahrt sie mich genau davor. Denn in dem Moment realisiere ich, dass das, was mir diese Rattenfänger erzählen, nämlich dass sie keine Angst hätten, nicht wahr sein kann. Leider sind auch die meisten unserer Politikern in dieser Frage wenig hilfreich, im Gegenteil. Ängste werden geleugnet, den Menschen abgesprochen oder es wird sich „nur“ über sie lächerlich gemacht, was die Menschen zu Recht verärgert. Das Ziel ist immer die Spaltung. Die Bösen („Das Pack“ – Sigmar Gabriel, „Dunkeldeutschland“ – Joachim Gauck, „Geht da nicht hin … “ – Angela Merkel) sind immer die anderen. Das Leben ist aber nicht Schwarz/Weiß, zumindest ist das meine Erfahrung, sondern hat viele Grautöne. Und wer ständig einen Feind braucht, sagt damit mehr über sich aus als über den vermeintlichen Feind. Hans-Joachim Maaz, der bekannte Therapeut und Autor („Der Gefühlsstau“) aus Halle an der Saale, der mir vor einiger Zeit schon mal im Taxi saß, und den ich schon zweimal in meiner Sendung „Hier spricht TaxiBerlin“ auf Pi-Radio zu solchen und ähnlichen Fragen interviewt habe, kann das mit der Angst und dem Hass aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung besser erklären (https://youtu.be/hNJPrqXtwtw) als ich. Der Mitschnitt ist auch deswegen interessant, weil er der Anfang und das Ende der 3.Bürgerversammlung im März 2016 in Dresden ist. (Zum Glück gibt es YouTube, in den offiziellen Medien war darüber leider nichts zu erfahren.) Es ist ein wenig wie ’89, man trifft sich in der Kirche (nicht irgendwo, sondern in der Landeshauptstadt vom angeblich braunen Sachsen – Du erinnerst dich, der Spiegel Titel vom 1.9.18: Sachsen = Böse!), der Pfarrer moderiert usw., du kennst das. Der gesamte Mitschnitt (https://youtu.be/OAVbh1d-GKI) hat zugegeben seine Längen, und manches ist auch kaum auszuhalten. Aber es ist der Weg, vielleicht der einzige (wenn es dafür nicht schon zu spät ist), wenn wir verhindern wollen, dass wir uns demnächst auf der Straße die Köpfe einschlagen, was auch eine Angst von mir ist.

    TaxiBerlin am 11. Oktober 2019 um 08:20
  17. 17

    Lieber TaxiBerlin,

    Danke für deine ausführliche Antwort. Es geht, mir zumindest, nicht darum jemandem Angst abzusprechen, dass Angst ein normales Gefühl ist, welches auch ich oft habe, dem kann ich nur zustimmen. Man sollte Angst sicher auch nicht unterdrücken, aber ist es besser mit der Angst zu leben? Man kann Angst ja auch verschieden definieren. Wenn ich ohne nach links und rechts zu gucken die Straße überquere, hätte ich Angst von einem Auto überfahren zu werden, wenn ich zu dicht an einen Abgrund heran trete, habe ich Angst herunter zu fallen. Das sind Ängste, die uns schützen. Ich kann aber auch Angst davor haben, vom Auto überfahren zu werden, weil draußen Autos fahren und deshalb nicht mehr vor die Tür gehen, oder aus Angst versuchen alle Autos kaputt zu machen, denn sie töten ja wirklich, massenhaft. Solche Ängste sind meiner Meinung nach schlecht für uns und für die Gesellschaft und wir sollten etwas dagegen tun und nicht versuchen mit ihnen zu leben. Man kann auch Angst vor Menschen haben, kann ich sogar gut verstehen, Menschen tun oft furchtbare Dinge, doch auch diese Angst führt nur zu größerem Leid, mündet in Aggression gegen sich selbst oder andere. Es gibt wohl Ängste, die aus dem Ruder geraten, die irrrational werden. Und erkennt man dies nicht und geht nicht dagegen an, kann das großen Schaden anrichten. Ich will jemandem wie Anders Breivik oder dem Täter von Halle nicht seine Ängste absprechen, sie dachten sicher, sie kämpfen gegen eine Bedrohung an, mit ihren Morden, doch widerspreche ich entschieden Menschen, die meinen, deren Ängste seien berechtigt. Solche Bürgerversammlungen finde übrigens auch ich gut.

    Ahne am 16. Oktober 2019 um 10:12

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