Anschwellender Bocksgesang
26. Februar 2023
Mein Zahnarzt fragte mich neulich, ob ich auch zur Friedensdemonstration am Sonnabend ans Brandenburger Tor komme. Ich konnte nicht antworten, da ich gerade etwas im Mund hatte, einen Bohrer, einen Tupfer, einen Schlauch zum Absaugen von Blut und Speichel. Nun, ich war nicht da. Mit mir wären es laut Zählungen von Polizei und Öffentlich-Rechtlicher Medien 13.001 Demonstrantinnen und Demonstranten, laut Zählungen der Organisatorinnen und der ‚Berliner Zeitung‘ 50.001 Demonstrantinnen und Demonstranten gewesen, die für einen Waffenstillstand und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine eintraten. Irrelevant, ich war ja nicht da. Nicht weil ich verpennt habe, auch nicht, weil ich zum Flötenunterricht musste oder zum Jahrestreffen der Kronkorkensammler, sondern weil ich unsicher bin, was richtig, was falsch ist. Ich bin gegen Krieg, glaube ich zumindest. Ich bin allerdings auch dagegen, dass jemand andere überfällt und der Überfallene sich nicht wehren darf. Ich weiß jedoch auch nicht, ob es gut ist, einen weitaus Schwächeren mit Waffen auszustatten, was den weitaus Stärkeren zwingen könnte, krassere Waffen einzusetzen. Andererseits, wenn der Schwächere um die Waffen bittet? Wiederum andererseits, wo ist die Grenze? Kampfpanzer? Kampfjets? Langstreckenraketen? Atomsprengköpfe? Aber wenn Putin wirklich der neue Hitler ist? Oh man. Was ich eigentlich schreiben wollte, nicht nur auf der einen Seite gibt es eine Querfront, zu den Befürwortern von Waffenlieferungen an die Ukraine gehört neben den Grünen (Grünen-Wähler würden übrigens häufiger als Wähler aller anderen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, freiwillig mit der Waffe in der Hand kämpfen, falls wir überfallen würden) und der FDP auch die Neonazi-Partei ‚Der III. Weg‘. Und dann mehren sich Stimmen von Kriegsbegeisterten, von Waffenfetischisten. Ein Eric kommentiert zum Beispiel auf rbb.de: „bevor ein Leopard mal doch durch einen dummen Zufall abgeschossen wird, hat er mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits sehr, sehr viele russische Panzer abgeschossen. (…) Nicht umsonst ist der Leopard einer der besten Panzer der Welt.“ Solche Erics finden sich immer wieder, im Angesicht eines Krieges. Menschlich, leider.
Heute: Berlin, Schankwirtschaft Baiz, 19 Uhr: Reformbühne Heim & Welt mit Susanne M. Riedel, Spider, Heiko Werning, Gott und mich, sowie den beiden Superstars Ely Meyer (Popmusik der Zukunft!) und Jess Jochimsen (Kurzgeschichten des Freiburger Schriftstellers, Kabarettisten, Sängers und Fotografen wurden bereits in Schulbüchern veröffentlicht!)
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